Am 13. April 1938 wurde das "Dorf mit schwäbischen Wurzeln" am Mittelmeer gegründet, nur wenige Kilometer nördlich der alten Kreuzfahrerstadt Akko und südlich der Grenze zum Libanon. Es waren jüdische Rexinger Männer und Frauen, die sich zu diesem mutigen und lebensrettenden Schritt entschlossen hatten und die hart und manchmal auch verzweifelt für ihre Vision kämpfen mussten, gemeinsam eine neue Gemeinde im damaligen englischen Mandatsgebiet Palästina zu erschaffen. Größtenteils waren es jüngere Leute, Ehepaare mit Kindern, Geschäftsleute, Viehhändler, Bankangestellte, Hausfrauen, die sich zunehmend Sorgen um ihre Zukunft und die ihrer Kinder machten.
"Nur wir, die jüngere Generation, sah - mit steigender Nazi-Aktivität - die Zeichen an der Wand. Wir wussten, dass Schritte unternommern werden mussten. Unsere ältere Generation jedoch von deren Notwendigkeit zu überzeugen, fiel aof taube Ohren. Sie wollten nicht glauben, dass ihnen je etwas geschehen könnte"
So beschrieb Hedwig Neckarsulmer die Zeit der Entscheidung, und ihr gelang es, ihre Eltern Alfred und Bella Hopfer nach Palästina mitzunehmen. Ihre Schwiegereltern Bertold und Zilly Neckarsulmer blieben zurück und starben in 1942 in Treblinka.
Es war allerdings auch nicht einfach, die Eltern mitzunehmen. Überhaupt war für Juden nichts mehr einfach in Nazi-Deutschland. Man zwang sie zur Flucht und machte es ihnen zugleich so schwierig wie möglich durch behördliche Schikanen und finanzielle Beraubung. Auf der anderen Seite hatten die Engländer sehr strenge Einwanderungsbedingungen. Eine Genehmigung zu erhalten, kostete viel Geld, es gab Quoten, spezielle Berufe wurden bevorzugt und eine ganze Gruppe, die nach Einreisezertifikaten verlangte, hatte noch weniger Chancen. Aber die Rexinger gaben nicht auf, und als die merkten, dass sie selber zu wenig waren, um eine lebensfähige Gemeinde zu gründen, machten sie Werbung in anderen jüdischen Gemeinden in Süddeutschland. Schließlich hatten sie genug Leute, Kapital und Unterstützung, um den großen Sprung zu waten. Sie hatten schon in Rexingen einen Genossenschaftsvertrag aufgesetzt, denn ihre landwirtschaftliche Siedklung sollte kein Kibbuz ohne jegliches persönliche Eigentum sein. Dazu waren sie zu sehr Schwaben. Sie wollten zwar alle gemeinsam in eine Kasse wirtschaften und jede Familie oder Einzelperson sollte nur nach ihren Bedürfnissen daraus entlohnt werden, aber ihre Haushalte wollten sie privat im eigenen Haus führen.
Aufbruch ins Ungewisse
Am 6. Februar 1938 feierten die Rexinger mit dem Horber Rabbiner Dr. Abraham Schweizer einen Abschiedsgottesdienst in ihrer Synagoge. Die Trennung fiel allen sehr schwer, aber man tröstete sich mit dem Gedanken, dass es in besseren Zeiten ein Wiedersehen geben würde und einen regen Austausch zwischen der alten Gemeinde und ihrem neuen Ableger am Mittelmeer. Die erste Gruppe verließ Deutschland am 14. Februar und fuhr mit dem Schiff von Triest nach Haifa. Nicht alle 41 Männer, Frauen und Kinder aus Rexingen konnten an diesem Termin ausreisen. Manche Familien mussten noch ihre Angelegenheiten regeln, ihr Haus verkaufen, ihr Umzugsgut organisieren und mit den Nazi-Behörden um ihre Ausreiseerlaubnis kämpfen. Zum Abschied gab es in der Presse hämische Kommentare, aber auch kummervolle Reaktionen, wie Resi Schwarz berichtete: "Aber noch, wo wir weg gegangen sind 1938, haben Nachbarsleute geweint und haben gesagt: Warum geht ihr fort? Wir tun euch nichts."
Diese erste Rexinger Gruppe, die sich in Palästina mit den EmigrantInnen aus anderen süddeutschen Gemeinden vereinigte, begann mit dem Aufbau von Shavei Zion am frühen Morgen des 13. April 1938. Ihr Platz, der 1937 von drei Rexinger Kundschaftern ausgesucht worden war, wurde ihnen vom Jüdischen Nationalfonds in Erbpacht zur Verfügung gestellt. Er war von einer türkischen Prinzessin gekauft worden und wurde von den arabischen Nachbarn "Boden der Dame" genannt. Die einzige jüdische Siedlung war das drei Kilometer entfernt liegende Naharija, ebenfalls eine Gründung jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland. Von dort kam auch tatkräftige Hilfe beim Aufbau. Mit vorgefertigtem und vormontiertem Baumaterial wurde innerhalb eines Tages ein Barackenlager mit Waser- und Wachturm aufgestellt und mit einem Schutzzaun umgeben.
Die arabischen Nachbarn reagierten unterschiedlich auf die Neueinwanderer, aber man musste immer auf bewaffnete Überfälle gefassst sein. Die Englönder stattenten die Siedlung mit Gewehren zur Verteidigung aus und stellten Hilfspolizisten zum Schutz vor Angriffen an.
Die neue Existenz
Das Leben war hart und entbehrungsreich. Das ungewohnte Klima, die feuchte Hitze, das fremde Essen, die schwere Arbeitsbelastung für Männer und Fraue vom ersten Tag an, die Enge in den Baracken, notdürftige Hygiene und Abgeschnittenheit in einem unwirtlichen und gefahrenvollen Gelönde machten aus jedem Tag eine neue Herausforderung. Und doch wurde das Leben gemeistert. Nach und nach wurden Gärten und Felder Straßen und Wege angelegt, die ersten Tiere - Hühner - angeschafft und an Schabbat wurde ausgeruht, das Meer ausprobiert, die Gegend vorsichtig erkundet.
Nach und nach kamen die anderen Sielder dazu bis im November 1938 in Deutschland die Synagogen und Geschäfte zerstört und die Männer verhaftet und nach Dachau gebracht wurden. Nicht allen, die sich in die Genossenschaft eingeschrieben hatten und auf ein Zertifikat warteten, gelang danach noch die Flucht.
Nach einem Jahr wurden die ersten Häuser gebaut, Kinder wurden geboren, eine Schule und eine Synagoge errichtet. Die ersten Kühe kamen ins Dorf, die Viehhändler begründeten eine äußerst erfolgreiche Milchwirtschaft, der Kuhstall war das Herz der Siedlung. Man konnte jetzt mit dem Bus nach Haifa fahren, und auf der Rückfahrt, bei der Haltestelle Shavei Zion pflegte der Busfahrer zu rufen: "Schafe Zions alle aussteigen!" entgegneten die Rexinger dann und verließen den Bus.
Die Alten lernten die Sprache nicht mehr oder nur sehr notdürftige, die Amtssprache der Dorf-Verwaltung blieb bis in die 1950er Jahre deutsch. Ab 1955 wurden die Protokollbüher zweisprachig geführt und nach einer Übergangszeit nur noch auf hebräisch.
Nachkriegszeit und alte Kontakte
Die landwirtschaftliche Produktion wuchs und entwickelte sich gut. Man versuchte sich in der Schafzucht und in der Fischerei. Die Genossenschaft errichtete ein Hotel für die Touristen, die nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrt aus Europa und Deutschland nach Israel kamen.
Viele Jahre lang war Shavei Zion berühmt für seine Zuchtrosen, für die man in Deutschland und Holland Absatzmärkte gefunden hatte. Ein anderer Schwerpunkt wa der Avocado-Anbau, und die Milchproduktion und Stierzucht waren über Jahrzehnte eine sichere Einnahmequelle Um nicht allein von der Landwirtschaft abhängig zu sein, errichtete man eine Plastikfabrik, die Folien und thermogeformte Verpackungen für Lebensmittel ehrstellte.
All das wurde erschaffen aus dem Erfindergeist, Fleiß und Überlebenswillen eineiger Dutzend versprengter Familien aus Deutschland, die ihre Heimat verlassen mussten, um ihr Leben zu retten. Diese bemerkenswerte Kreativität ist auch für heutige Besucher eine der erstaunlichste Seiten des Lades Israel. Veränderung ist die große Konstante, und das gilt natürlich auch für Shavei Zion
Noch heute findet man das idyllische Gartedorf mit den ersten Siedlerhäusern im Zentrum des Dorfes und einge alte, denkmalgeschützte Gebäude am Dorfeingang, aber dominierend sind die beiden großen Neubaugebierte, die auf ehealigen landwirtschaftichen Flächen angelegt wurden.Die Landwirschaft hat sich nicht mehr gerechnet, die Flächen waren schließlich zu klein, die Anzahl der Kühe in zuletzt hochtechnisierten Ställen zu gering, die Umweltauflagen zu hoch, um der Konkurrenz größerer landwirtschaftlicher Siedlungen standhalten zu können. Das Hotel, inzwischen verpachtet, wurde kürzlich grundlegend renoviert und für heutige Bedürfnisse umgebaut, eine kleine Ferienhaussiedlung ist meistens ausgebucht Die Plastikfabrik produziert noch und schreibt ach einigen Krisen wieder schwarze Zahlen
Auf dem Weg in die Zukunft
Über hundert junge Familien haben sich in den letzten zehn Jahren auf den frei gewordenen Flächen ihre Häuser gebaut, viele davon haben selbst ihre Wurzeln in Shavei Zion. Die Kinderzahl ist stark angestiegen und viele der Kinder sind Ur-Urenkel der ersten Einwanderer. Der kleine familiäre Strand ist beliebt bei jung und alt, der Surfclub logiert in einem schicken Strandhaus Es gibt kleine Läden, eine Bar, die am Wochenende sehr gefragt ist und ein gemütliches Café mit großer Auswahl an kleinen lokalen Speisen. Alles wird von jungen Leuten betrieben und wirkt sehr international.
Es gibt eine prachtvolle Strandpromenade ins drei Kilometer entfernte Stadtzentrum von Naharija, die von morgens bis abends mit Spaziergängern, Joggern und Fahrradfahrern bevölkert ist Ins arabische Nachbardorf Masra*a geht man aufs Postamt oder zu Feisal, der einen riesigen Gemüse-Supermarkt betreibt, in den wegen seines überwältigenden und preiswerten Angebotes die Kundschaft von weither kommt. Wenn die Schnellbahntrasse fertig ist, fährt man von Naharija in einer knappen Stunde im vollklimatisierten Zug nach Tel Aviv.
Die wenigsten Einwohner von Shavei Zion arbeiten noch am Ort. Sie pendeln mit dem Zug oder Auto zu ihren Arbeitsplätzen in der näheren oder weiteren Umgebung. Die Hauptaufgaben der Genossenschaft liegen heute im sozialen Bereich, in der Fürsorge um die Kinder, die Jugendlichen und die alten Menschen. Die Integration der vielen jungen Familien ins Dorfleben ist eine neue Herausforderung für alle. Die schwäbischen Wurzeln haben inzwischen sich mit Wurzeln aus allen Weltengegenden verwachen.
(Text Barbara Stauacher, veröffentlicht am 13.04.2018 Schwarzwälder Bote und Neckar Chronik)
Weitere Informationen zur jüdischen Geschichte in Rexingen finden Sie unter:
https://www.ehemalige-synagoge-rexingen.de/
https://www.ehemalige-synagoge-rexingen.de/ehemalige-synagoge/geschichte-der-gemeinde
Desweiteren gibt es einen beschilderten Rexinger Themenweg zur jüdischen Geschichte des Ortes: http://www.rexinger-themenwege.de/juedische-geschichte/